SPD Harburg diskutiert über die Große Koalition

| Niels Kreller | Politik
Rund 90 Genossen trafen sich am MOntagabend um über den Koalitionsvertrag zu diskutieren. | Foto: Niels Kreller
Rund 90 Genossen trafen sich am MOntagabend um über den Koalitionsvertrag zu diskutieren. | Foto: Niels Kreller

Zum Kommentar "Meine Meinung: Die Erneuerung der SPD hat schon längst begonnen"

Hausbruch. Rund 90 Harburger Genossen waren am Montagabend in das Landhaus Jägerhof gekommen, um über den Entwurf des Koalitionsvertrages sowie die Vorkommnisse der letzten Tage zu diskutieren. Schließlich steht der Mitgliederentscheid an, in dem die gut 460.000 Mitglieder der Partei über die Große Koalition abstimmen werden.

Will für den Koalitionsvertrag stimmen: Harburgs SPD-Chef Frank Richter. | Foto: Niels Kreller
Will für den Koalitionsvertrag stimmen: Harburgs SPD-Chef Frank Richter. | Foto: Niels Kreller

„Es ist keine personelle Frage, sondern ob das ausreicht, was in diesem Vertrag steht.“ Mit diesen Worten forderte der Kreisvorsitzende der Harburger SPD, Frank Richter, auf, sich an den Inhalten und nicht den Personalquerelen der letzten Tage zu orientieren. Er, so legte Richter dar, werde aufgrund dieses Vertrages für die Große Koalition stimmen. Auch der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi sprach sich für ein Ja aus. Für ihn ist der anstehende Mitgliederentscheid auch etwas, was die SPD auszeichne: „Jeder kann nach seinen persönlich Empfindungen, Vorstellungen und Werten darüber abstimmen. Das unterscheidet uns von jeder anderen Partei“, rief er den Genossen zu. Besonders das Europakapitel habe in überzeugt. Aber auch einen Blick in die Zukunft nach dem Votum warf er. „Ob die Partei tief gespalten ist, zeigt sich nicht an der Abstimmung, sondern daran, wie wir danach miteinander umgehen“, mahnte er.

Ein Austauch der Positionen

Dann hatten die „normalen“ Mitglieder das Wort. Von der Wahl zwischen Pest und Cholera war die Rede, von einer Glaubwürdigkeitskrise der Partei. „Ob der Vertrag gut oder schlecht ist, spielt keine Rolle. Die Bevölkerung nimmt es uns nicht mehr ab, solange wir nicht anfangen uns innerlich zu verändern“, hieß es. Und das könne man nicht bei einer Regierungsbeteiligung. Auch einige gerade eingetreten Neumitglieder meldeten sich zu Wort. „Wo bleibt die Zukunft?“, fragte ein Neumitglied. „Wir müssen an die nächsten Generationen denken. Deswegen stimme ich gegen den Koalitionsvertrag. Damit wir etwas noch Besseres auf die Beine stellen.“ Ein anderer äußerte sein tiefe Sorge um die Zukunft des Landes: „Wir müssen mit dieser Partei, in die ich jetzt eingetreten bin, die Demokratie sichern.“ Wie aber sehe es bei einer Großen Koalition in zwei oder vier Jahren mit der SPD aus. „Ich denke an Weimarer Republik.“

Auch der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi versuchte die Genossen von einem Ja zu überzeugen. | Foto: Niels Kreller
Auch der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi versuchte die Genossen von einem Ja zu überzeugen. | Foto: Niels Kreller

Aber auch die Befürworter des Vertrages brachten ihre Argumente vor. „Schaut es euch doch an, was es für unsere Leute bedeutet, was da drinsteht“, fordert der ehemalige Vorsitzende der Harburger SPD, Harald Muras, die Genossen auf. „Das sind ganz reale Verbesserungen ihrer Lebensumstände.“ Auch sei die CDU nicht mehr die CDU eines Roland Koch oder Alfred Dregger. „Wir müssen mal zur Kenntnis nehmen, dass die CDU in die Mitte gerückt ist. Das ist kein rechtsradikaler Verein mehr“, so Muras. Auch die Sorge, dass bei einem Nein Neuwahlen kommen und die AfD stärker würde, treibt einige Genossen an, mit einem Ja zu stimmen.

Auffällig ruhig verhielten sich die Jusos, die mit ihrem Bundevorsitzenden Kevin Kühnert doch die Speerspitze der Erneuerer und GroKo-Gegner sind. Und schließlich hatten die Jusos in Süderelbe im Vorwege deutlich Position gegen die GroKo und den Vertragsentwurf bezogen. Einzig der ehemalige Juso-Kreisvorsitzende Thilo Sander, der nun nach seinem Ausscheiden aus diesem Amt in die Versammlungsleitung der 'großen SPD' aufgestiegen ist, ergriff das Wort. In einem, seinem neuen Amt würdigen, Redebeitrag, beschwor Sander die Furch vor einer stärker werdenden AfD bei Neuwahlen. Ganz im Sinne von Franz Münteferings Credo „Opposition ist Mist“ befand er, dass die Partei nur in der Regierung verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen könne: „Wir müssen Taten und Worte sprechen lassen; das tun, was man sagt. In der Opposition können wir nichts tun.“ Kritik übte er an den Jusos und ihrer Kampagne. Erneuerung gehe auch in der Regierung. Am Rande der Versammlung war aber zu vernehmen, dass dies nicht die Position aller Jusos im Kreis ist und dass sie sich bald öffentlich wieder äußern werden. Da kann man gespannt sein.

Ein offizielles Meinungsbild der Genossen gab es an diesem Abend nicht. An der Stärke des Applauses zu den jeweiligen Beiträgen aber konnte aber schon eine leichte, gleichwohl deutliche, Mehrheit für den Koalitionsvertrag ‚erhört‘ werden. Ob sich das am Ende des Mitgliedervotums bestätigt wird sich zeigen.

Meine Meinung: Die Erneuerung der SPD hat schon längst begonnen

Kommentar. Wenn man böse sein wollte, dann könnte man sagen: Hätte es die Querelen der letzten Tage um Personalien, insbesondere um Martin Schulz, nicht gegeben – die GroKo-Befürworter hätten sie erfinden müssen. Denn für einige Genossen ist die Vorstellung, mit dieser sich so desolat aufführenden Bundesspitze in einen Wahlkampf ziehen zu müssen, der blanke Horror. Und deshalb wollen sie lieber mit Ja stimmen.

An einem Nein hindert vielfach auch der in der SPD weitverbreitete Glaube, dass man nur in der Regierung etwas bewirken könne. Treffender als Thilo Sander hätte man dieses Konzept nicht auf den Punkt bringen können – „In der Opposition können wir nichts tun.“ Aktive Gewerkschafter wissen es da beispielsweise besser. Und es wäre auch interessant, wie jemand wie Sander sich erklärt, wie die SPD von einer im Kaiserreich verfolgten Bewegung überhaupt in Regierungsverantwortung kommen konnte. Aber wahrscheinlich ist der Glaube, dass man nur in der Regierung etwas tun könne, in der momentan Verfasstheit der SPD schlicht die traurige Wahrheit.

Und es ist ein Irrglaube, dass sich eine Partei, die in einer so tiefen Krise wie die SPD steckt, erneuern könne, während sie an einer Regierung beteiligt ist und immer das Richtschwert des „Machbaren“ und des „Durchsetzbaren“, den sogenannten „Realitäten“, über dem Prozess schwebt. Auch lässt sich dieser Prozess nicht ohne Diskussion um Personen beginnen. Ausgerechnet Andrea Nahles als Erneuerin zu bestimmen, grenzt an Verhöhnung der Parteimitglieder. Sie hat, wie andere Juso-Bundesvorsitzende nach ihr, maßgeblichen Anteil daran, die Jusos und später auch die innerparteiliche Linke in weiten Teilen in die verordnete Langweiligkeit der Partei aus Grünkohlessen, Skatturnieren und Kaffeekränzchen integriert zu haben. Sie hat die Agenda-Politik mitgetragen, für viele der ehemaligen Wähler der Sündenfall der SPD. Erst mit der Wahl von Johanna Uekermann 2013 zur Juso-Bundesvorsitzenden und mit noch einmal mit eingelegtem Turbo seit der Wahl von Kevin Kühnert haben sich die Jusos aus diesem Sumpf der Langeweile und Bedeutungslosigkeit angefangen freizukämpfen.

Und das mit Erfolg. Denn was die Parteioberen in ihrer Festung der Beharrung in Berlin anscheinend noch nicht gemerkt haben: Während sie über eine Erneuerung der Partei nur Reden und diese gerne auf formale Aspekte innerparteilicher Demokratie beschränkt sehen wollen, haben die Jusos und alle, die mit ihnen aufgebrochen sind, schon damit begonnen. Auch in Harburg scheinen die Jusos nicht einfach nur mehr damit zufrieden zu sein, die fleißigen Flyerverteiler am Infotisch zu sein, sondern mehr zu wollen – und zu fordern. Es bleibt zu wünschen, dass sie dies auch nach dem Votum fortführen – egal wie es ausgeht.

ANZEIGE

Verwandte Artikel

Menschen. Fakten. Meinungen. | Setzen wir ein Zeichen für Gleichstellung!

Liebe Leserinnen und Leser, Harburg Stadt und Land entwickeln sich stetig – wirtschaftlich, politisch, kulturell. Und das auch oftmals sehr dynamisch. Zeit also, einmal diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die hinter dieser Entwicklung stehen. Unternehmer aus der Region, Politiker, die die Weic...

Menschen. Fakten. Meinungen. | Wir brauchen die soziale Interaktion wie die Luft zum Atmen

Liebe Leserinnen und Leser, Harburg Stadt und Land entwickeln sich stetig – wirtschaftlich, politisch, kulturell. Und das auch oftmals sehr dynamisch. Zeit also, einmal diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die hinter dieser Entwicklung stehen. Unternehmer aus der Region, Politiker, die die Weic...

Viktoria Ehlers: Bewegende Worte zum Abschied aus der Bezirksversammlung

Harburg. Das Ende einer Legislatur ist auch oftmals eine Zeit für Abschiede – beispielsweise aus der Harburger Bezirksversammlung, die im Juni neu gewählt wird. Am gestrigen Dienstag nutzte die FDP-Fraktionsvorsitzende Viktoria Isabell Ehlers die Aktuelle Stunde, um sich von dem Gremium und den K...

SPD: Frank Richter setzt sich als Spitzenkandidat durch

Harburg. So lange hat die SPD Harburg lange nicht mehr für die Aufstellung einer Kandidierendenliste für eine Bezirkswahl gebraucht. Vielleicht war es sogar die längste Versammlung für diesen Zweck: Mehr als zehn Stunden lang, von 10 Uhr morgens bis 20:10 Uhr abends, tagte die Wahlkreisversammlun...

Neuste Artikel

ANZEIGE

Inserate

  • Inserat

    Freundeskreis Harburger Theater sucht motivierte Unterstützer!

    Der Freundeskreis Harburger Theater e.V. hat sich im November 1996 gegründet, um das damals geschlossene Harburger Theater mit neuem Leben zu erwec...
  • Inserat

    Kita „elbzwerge“ im Harburger Binnenhafen hat noch Plätze frei – wo KLEIN ganz großgeschrieben wird

    Buntes Treiben herrscht in der elbzwerge Kita „Villa Lengemann“ in der Blohmstraße 22, wenn die Kinder dort die Räume erobern. Das ist auch nicht v...
  • Inserat

    Erfolgreicher Dritter Onboarding-Tag der WELLERGRUPPE

    Am ersten Märzwochenende fand der dritte kulturelle Onboarding Tag der WELLERGRUPPE in Berlin statt. Zum Start bei ihrem neuen Arbeitgeber wurden ü...
  • Inserat

    Die Sonne und Gastfreundschaft Kretas in Harburg genießen

    Kreta: Die griechische Insel ist ein Urlaubsparadies. Und das nicht nur wegen der vielen Sonnentage und schönen Strände, sondern auch wegen der vie...
  • Inserat

    Spargelzeit: Jens Boldin hat auf dem Markt den richtigen Schinken zum königlichen Gemüse

    Die Spargelzeit beginnt und aus der Region schmeckt er am besten. Genau wie der andere Star bei einem guten Spargelessen: Der Schinken. Diesen Star...
  • Inserat

    Mittelalter und Beltane auf Burg Bodenteich

    Wo gelingt es besser, das Ende des Winters und das Nahen des Monats Mai zu feiern, als auf der Burg in Bad Bodenteich, wenn auf Burg Bodenteich zur...
  • Inserat

    DRK-Shop „Schwester Henny“: Schönes und Mode von Mensch zu Mensch

    Inserat Im Second-Hand-Shop "Schwester Henny" des DRK Harburg im Harburger Ring 8-10 werden besondere Kleidung und Wohnaccessoires angeboten. Die W...
  • Inserat

    Im Einsatz für den Hausnotrufdienst: "Ich erfahre täglich so viel Dankbarkeit"

    Die meisten Senioren möchten möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Mit Hilfe von Angehörigen, einem Pflegedienst und einem Hau...
  • Inserat

    Premiere: Theaterkurs des Heisenberg-Gymnasium Hamburg auf der Bühne im Harburger Theater!

    Schülerinnen und Schüler des Theaterkurses aus dem Jahrgang 11 des Heisenberg-Gymnasium spielen am 02. Mai 2024 und am 03. Mai 2024 jeweils um 19:3...
  • Inserat

    Mobil in der Natur oder im eigenen Garten: Sauna und Wohnwagen aus Zirbenholz

    Mobil mit Naturholzhütten – das verspricht Gerhard Naujoks von Trendbau aus Harsefeld. Und das Versprechen hält er mit seinen Tannhäuschen-Wohnwag...
  • Inserat

    Integration und Völkerverständigung: Neue Begegnungsstätte für alle in Harburg

    Kommunikation ist das A und O der Integration und Grundlage dafür, leichter eine Arbeit zu finden. Das weiß Dorothee Adam, Geschäftsführerin des Ve...
  • Inserat

    Tag der offenen Tür beim HTB!

    Am 20. April 2024 lädt der Harburger Turnerbund von 1865 e.V. (HTB) Groß und Klein zum Tag der offenen Tür im Sportpark Jahnhöhe ein. Von 11 bis 15...
  • Inserat

    Mobil trotz Behinderung: Barrierefrei Auto fahren

    Mobil bleiben mit dem eigenen Auto – das ist gerade bei einem Handicap, bei Einstiegsschwierigkeiten, Mobilität, Fahrhilfen, Nutzung eines Rollat...
  • Inserat

    Mit hvv hop einfach und bequem in Harburg unterwegs

    Mittlerweile ist es kein Geheimtipp mehr: hvv hop, das Angebot des hvv in Harburg. Viele kennen schon die Shuttle-Fahrzeuge, die auf 43 Quadratkilo...
  • Inserat

    Elbe Catering sucht Service-Kräfte: Jetzt bewerben (m/w/d)

    Es steht eine große Familienfeier wie Taufe, Konfirmation, runder Geburtstag oder Hochzeit bei Ihnen an? Oder ein großes Firmenevent wie eine Tagun...
  • Inserat

    Im Gespräch mit Kerstin Jörn, Akademieleiterin der quatraCare Gesundheitsakademie gGmbH

    Kerstin Jörn ist seit vier Monaten als Akademieleiterin für die quatraCare am Campus Harburg tätig und hat tolle Ideen für die weitere Gestaltung d...
  • Inserat

    Jobmesse Süderelbe: Die Messe für alle

    Eine gute Nachricht nicht nur für Unternehmen: Die Jobmesse Süderelbe steht wieder in den Startlöchern. Am 3. Mai 2024 findet sie von 10 bis 16 Uhr...
ANZEIGE