Ehestorf. Die Finanzierung steht zu 99,99 Prozent, die Umsetzung des Projekts kann beginnen. Das kündigte Prof. Dr. Rolf Wiese, Direktor des Freilichtmuseums am Kiekeberg in Ehestorf, gemeinsam mit Vertretern der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und Heinz Lüers, Vorstand der Sparkasse Harburg-Buxtehude, nach deren gemeinsamen Sitzung an. Das Projekt heißt „Königsberger Straße - Heimat der jungen Bundesrepublik“ und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung einer ländlich geprägten Region von der Nachkriegszeit bis in die 80er-Jahre darzustellen.
Hierfür haben die Sparkassenstiftung und die Sparkasse Harburg-Buxtehude jeweils 100.000 Euro zur Verfügung gestellt. Auch die Bundesregierung zeigte sich spendabel und machte 3,8 Millionen locker. Weitere sechs größere und kleinere Sponsoren machten es möglich, dass die notwendigen 6,3 Millionen beinahe komplett vorhanden sind.
Während der nächsten sechs Jahre entstehen auf einer Fläche hinter der Schnapsbrennerei im Freilichtmuseum am Kiekeberg eine Ladenzeile mit einem Friseurladen und einer Zahnarztpraxis, ebenso wie eine Tankstelle und eine Polizeistation. Schmuckstück der Ausstellung soll ein komplettes Haus aus dieser Zeit werden, das per Tieflader in das Museum in Ehestorf transportiert wird, sowie ein „Quelle-Fertighaus“.
Wiese erinnert daran, dass nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 etwa 18,5 Millionen Menschen als Flüchtlinge in Europa unterwegs waren. Hamburg lag in Trümmern und bot keinen Wohnraum. Die englischen Besatzer hatten für die Stadt eine Zuzugsspere erlassen. Die Folge: Die Flüchtlinge zogen an Hamburg vorbei und ließen sich im heutigen Landkreis Harburg nieder. Die Briten hatten jedoch Vorsorge getroffen. Vielen der 30.000 Vertriebenen und Flüchtlinge, die im Landkreis strandeten, wurden, sofern sie nicht bei Einheimischen einquartiert wurden, 1000 Quadratmeter Grund und Boden zugesprochen, um sich eine neue Existenz aufzubauen.
Hab und Gut brachten die Flüchtlinge - zumeist Frauen, Kinder und Alte, denn die jungen Männer waren entweder im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft – nicht mit, dafür aber zahlreiche Erinnerungen und Brauchtum. In den Siedlungen, die sie bauten, entschieden sie sich für Straßennamen, die in ihrer Heimat geläufig waren: Königsberger-, Breslauer-, Kolberger- oder Stettiner Straße sind Straßen, die in Orten des Landkreises - wie beispielsweise in Neu Wulmstorf - noch heute diese Namen tragen.
„Die Ausgangssituation war beinahe unlösbar“, berichtete Wiese weiter, „denn die Einheimischen fühlten sich überrannt und die Flüchtlinge wiederum hatten wenig Verständnis für deren größtenteils ablehnende Haltung.“ Mit 124.397 Bewohnern verdoppelte der Landkreis Harburg damals seine Bevölkerung binnen weniger Monate. Noch heute kann man feststellen: 50 Prozent der Landkreisbewohner sind keine „Ureinwohner!“
Es war nicht leicht, das Konzept für diese Ausstellung zu erarbeiten, berichtete Wiese weiter, denn man hatte keinen Spezialisten für Nachkriegsgeschichte. Für die Projektleitung wurden die Architektin Theda Boerma-Pahl und der Volkskundler Alexander Eggert gewonnen.
Die Entwicklung nach 1945 hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können, so Wiese, denn Meckelfeld war dazu auserkoren, ein so genannter Entwicklungsort zu werden. Deshalb entstand dort eines der ersten Einkaufszentren überhaupt. Eine überdimensionale „Südstadt“ als „Trabantenstadt“ mit 80.000 Bewohnern war ebenfalls geplant. Aber sie wurde nie gebaut.
Entstehen soll aber nun diese museale „Königsberger Straße.“ Das Projekt bestätige die Erkenntnis, dass Gegenwart sich über Geschichte erklärt, sagte Heinz Lüers, und der Umstand, dass die Finanzierung stehe, sei „alles andere als selbstverständlich.“ Thomas Mang, Vorsitzender des Vorstands der Sparkassenstiftung, erläuterte den Grund dafür: „Wir fördern Projekte nur, wenn uns die Ideen, das Gesamtkonzept und die Strukturen überzeugen.“ Das habe die „Königsberger Straße“ wohl getan.
„Das ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag,“ fasste Heiner Schönecke (CDU) aus Schwiederstorf, langjähriges Mitglied des Landtags in Hannover und Vorsitzender des Fördervereins des Freilichtmuseums am Kiekeberg, die Ist-Situation zusammen, dessen Aufgabe es ist, 72 Jahre nach Kriegsende „einen bisher unbeleuchteten Teil der jüngsten deutschen Geschichte lokalhistorisch zu erfassen.“