Buchbesprechung: Wie geht es, richtig zu scheitern?
Harburg. Was für ein Thema! Ein Tabu-Thema, zu dem die Hamburger Autoren Michael Wörle und Daniel Chappuzeau ein neues Buch vorgelegt haben. Ihre Mission „Erfolgreich scheitern“. Und wie Sie Ihr Unternehmen unter extremen Bedingungen retten können. Am besten ohne Insolvenz. Denn das Insolvenzverfahren ist für Schuldner und Gläubiger nicht selten alles andere als optimal. Statistisch bekommen Gläubiger nur 4 Prozent ihrer Geldforderungen bei einem insolventen Unternehmen, also fast nichts.
Erst selbstständig? Dann pleite? Scheitern will keiner, Scheitern ist ein Alptraum: Für die meisten Deutschen ist das unternehmerische Scheitern – ganz anders als in den USA - ein Makel. Insolvenz wird oft im Volksmund meistens sogar mit betrügerischem Bankrott gleichgesetzt. Dabei sind das zwei völlig verschiedene Dinge, die nicht verwechselt werden sollten. Dieser außergewöhnliche gerade erst erschienene Ratgeber aus dem Mentorenverlag stellt wenig bekannte, außergewöhnliche Lösungsansätze vor, wie Unternehmer in der Krise das Ruder herumreißen können. Gut lesbar, und mit dabei viele echte Fallbeispiele. Sie sollen Mut machen und für planvolles, entschlossenes Handeln motivieren. 10 Unternehmer erzählen ganz ehrlich, wie es ihnen in der Krise ergangen ist. Hoffnung stirbt zuletzt, sofern sie wie letztlich aussichtsloses Weiterwursteln wirkt. Das Ziel: ein rechtssicheres Umsteuern nach Plan. Das geht auch in der Krise. Die Mission der beiden Autoren ist nicht nur aufzuklären, sondern auch mit einer Imagekampagne für ein neues Bild des Scheiterns in der Öffentlichkeit zu sorgen. Deutschland braucht Menschen, die innovativ sind, stark und die etwas riskieren. Bürokratie und Beamtenmentalität bringen uns nicht wirklich weiter.
Geht es denn auch ohne Insolvenzantrag?
Ja tatsächlich. Es gibt mehrere Wege zur rechtssicheren Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Und klappt das auch? Ja, auch das. Gibt es Beispiele, bei denen das gelungen ist? Ja, diese Beispiele finden Sie in diesem toll geschriebenen Buch. Die Autoren beschreiben Beispiele wie diese: Ein Marketingunternehmen mit 15 Mitarbeitern konnte gerettet werden. Ein IT-Unternehmen mit 17 Mitarbeitenden konnte ohne Unterbrechung wieder zurück in die schwarzen Zahlen geführt und aus der vorläufigen Antragsstellung befreit werden. Ein Logistikunternehmen konnte ohne Nachhaftung für die Gesellschafter sauber liquidiert werden. Aber auch Negativbeispiele, wenn man völlig naiv und gutgläubig zum Insolvenzgericht geht: Wie in der Geschichte von dem ehrbaren Handwerksmeister, der pünktlich Insolvenz anmeldete und dabei so richtig abgezogen wurde. Aufgepasst, wen man sich anvertraut.
Neben konkreten Tipps und Beispielen ist den Autoren aber besonders wichtig, einen Imagewandel des Scheiterns in Deutschland zu bewirken und aus dem bequem gewordenen Land ein Klima des Aufbruchs zu fördern. Denn unternehmerisches Scheitern ist stark stigmatisiert. Es geht mit gravierenden negativen persönlichen, finanziellen und sozialen Folgen einher. Die Folgen des Scheiterns in Deutschland heute:
Gesellschaftliches Stigma: In Deutschland und vielen anderen Ländern gilt das Scheitern in der Selbstständigkeit als persönliches Versagen, besonders wenn es auf unternehmerische Fähigkeiten zurückgeführt wird. Während äußere Umstände wie Krankheit oder Wirtschaftskrisen eher akzeptiert werden, führen Fehler beim Geschäftsmodell, in der Kundenakquise oder im Management häufig zu Stigmatisierung des Gründers.
Psychologische Auswirkungen: Das Stigma kann zu Depressionen, Angststörungen und sozialer Isolation führen. Auch die Ehe der Betroffenen zerbricht nicht selten in der Krise. Die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung hemmt zudem den Mut, Risiken einzugehen und Innovationen zu verfolgen – dies behindert den Unternehmergeist und die Bereitschaft, neue Ideen auszuprobieren.
Finanzielle und berufliche Konsequenzen: Scheitern ist meist mit hohen finanziellen Verlusten verbunden, die nicht nur den Gründer, sondern oft auch Familien, Mitarbeiter und Partner hart treffen können. Insolvenzen und Projektabbrüche können die Karrierechancen langfristig beeinträchtigen und es braucht oft Jahre, um sich davon zu erholen.
Mangelndes Verständnis: Es fehlt bei uns die Akzeptanz, dass Risikobereitschaft und das Austesten von Ideen essenziell zum Unternehmertum gehören – und dass Misserfolge Teil des Lernprozesses sind. In der öffentlichen Wahrnehmung werden Unternehmer zu oft als gescheitert abgestempelt, statt das erlangte Wissen und die Erfahrung zu würdigen. Kein Boxer kann Weltmeister werden ohne Blessuren im Training und im Kampf um die Pole-Position.
Prof. Dr. Andreas Kuckertz von der Universität Hohenheim, Verfasser einer Studie zum unternehmerischen Scheitern, kommentiert es so: „In der Gesellschaft fehlt es an Verständnis für Unternehmertum. Ein Unternehmen zu gründen beinhaltet immer ein Risiko. Wer etwas Neues schafft, kann immer auf die Nase fallen. Wirtschaft und Unternehmertum werden oft kritisch gesehen, aber selten verstanden.“
Sein spannendster Befund: Die Befragten seiner Studie sind zwar allgemein zu 80% bereit, Fehler zu verzeihen. Aber: Sie sind nicht bereit, unternehmerische Fehler zu verzeihen. Dazu ist nur eine Minderheit von 15% bereit. Am gnadenlosesten verurteilen Beamte, Angestellte und Hausfrauen das Scheitern von Unternehmern. Sie sind entweder zu gierig oder zu unfähig. Wir finden: Das sind wirklich spannende Befunde. Während in den USA das Scheitern mit einer Firma wie der blaue Fleck eines Boxers auf dem Weg zur Meisterschaft angesehen wird, verlieren deutsche Unternehmer bei solchen Fehlern ihr Gesicht und ihre Existenz gleich mit – dabei oft auch Gesundheit, Ehe, Altersvorsorge, alles, was sie haben. Sie stehen am Pranger und können nur noch verschwinden, was viele auch tatsächlich tun. Manche begehen auch Suizid.
Durch diese negative Sicht auf das Scheitern zahlen wir jedoch alle einen hohen Preis. Das führt dazu, dass weniger Menschen bereit sind, unternehmerische Risiken einzugehen, und die Innovationsfähigkeit insgesamt in unserem Land aufs Spiel gesetzt wird. In anderen Kulturen – wie den USA – werden Fehler und Scheitern als wertvolle Lernerfahrungen betrachtet, was zu einer dynamischeren Startup-Szene beitragen kann und auch in weit höherem Maße Risikokapitalgeber bewegt, viel Geld für gute Ideen einzusetzen.
Zusammengefasst: Scheitern gilt als schlecht, weil es individuell existenziell belastend ist, gesellschaftlich nicht verständnisvoll betrachtet wird und aus diesen Gründen mit teils existenziellen Folgen einhergeht. Die allgemeine Ablehnung steht oft dem eigentlichen Wert von Fehlern als Lern- und Entwicklungschance entgegen. Dieses wollen die Autoren mit dem Buch gerne ändern.
Wer sie live erleben möchte: Am 11.11. gibt es eine Lesung der Autoren, in dem Praktiker und Künstler zu Wort kommen und Unternehmer sich offen zum Thema Scheitern austauschen wollen. Kontakt und Anmeldung:
