Harburg. „Herzlich willkommen" bildete den Abschluss der Kempowski-Saga am Harburger Theater. Das Haus war während der Premierenvorstellung und auch an den folgenden Tagen bedauerlicherweise oft nur zur Hälfte gefüllt, Dennoch war die Stimmung im Saal und auf der Bühne gut, der größte Teil des Publikums war sogar begeistert. Herausragend einmal mehr Nadja Wünsche, die - eigentlich wie immer - auch mit ihrer Mimik und Ausdrucksstärke überzeugte.
Wie gewohnt bei Kempowski-Bühnenstücken, wurde den Zuschauern ein realistischer Bilderbogen deutscher Geschichte geboten. Die Schauspieler haben im erstaunlich schnellen Wechsel ihre nicht einfachen Rollen großartig auf die Bühne des Hauses am Museumsplatz in Harburgs Zentrum gebracht. Ältere Harburger erinnern sich vielleicht noch an TV-Aufnahmen zu einer Kempowski-Verfilmung in der Nähe der Heimfelder/Wattenbergstraße für eine Fernsehproduktion in den 1980er-Jahren, die eigentlich in Rostock spielen sollte. Aber das war zu DDR-Zeiten nicht zu realisieren.
Gegen Ende des ersten Akts wurde das Publikum sekundenlang geradezu sprachlos auf den Sitzen zurückgelassen, als - natürlich symbolisch - eine Vergewaltigung unter Männern im Knast gezeigt worden war. Nach der Trennung von der Mutter wurde beim Sohn die unwillige und hartherzige Entschädigungspraxis der Nachkriegszeit gezeigt.
Glücklicherweise ist heute, mehr als 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Bewusstsein für Traumatisierte vorhanden. Ein langanhaltender Beifall und ein rhythmischer Applaus belohnte die Künstler auf der Bühne. Unter den Zuschauer war auch der Harburger Gästeführer und ehemalige SPD-Bezirkspolitiker Hans-Ulrich Niels, der alle vier Folgen im Harburger Theater gesehen hat. Seine Meinung: „Diese Vorstellungen hätten jeweils ein volles Haus verdient gehabt!"
In der Inszenierung geht es um den Gefängnisalltag in Bautzen in der damaligen DDR. Für Walter ist es eine Gratwanderung zwischen Überleben und Langeweile. Das Rezitieren von Gedichten und die Teilnahme am Gefängnischor geben seiner verlorenen Jugendzeit ein wenig Sinn und Erbaulichkeit. „Wird schon werden, da müssen wir eben durch“, sagt Mutter Grethe, als ihr Sohn Walter nach acht Jahren Haft aus dem Zuchthaus Bautzen zu ihr zurückkehrt – ohne Ausbildung, ohne Ziel und Geld. Anne Schieber verkörpert gekonnt die unschuldig im Gefängnis leidende Grethe Kempowski.
Der in den Westen entlassene Walter fühlt sich von den Menschen, mit denen er es zu tun hat, nicht anerkannt und als Bürger zweiter Klasse. Er beginnt sein Studium, doch die Jahre in Bautzen haben ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder erliegt er Anfällen von Melancholie. Doch in Göttingen, seiner Studienstadt, findet er die Frau fürs Leben und eine berufliche Perspektive: Er wird Dorfschullehrer und ist damit in jener Gesellschaft angekommen, die ihn als Ex-Häftling am Anfang keineswegs herzlich willkommen heißen wollte.
„Das wandlungsfähige, eingespielte, leidenschaftliche Ensemble, das in Sekundenschnelle in unterschiedlichste Rollen schlüpft, macht es dem Zuschauer leicht, der Handlung zwischen Gestern und Heute zu folgen“, heißt es treffend in einer Theaterkritik.
Für die Bühnenfassung sorgte Intendant Axel Schneider, der auch Regie führte. Theaterchef Schneider gelang mit seiner Inszenierung ein dichtes, nahegehendes Sittengemälde der Nachkriegszeit, das facettenreiche Porträt einer von Krieg und Diktatur zerrissenen Familie. Für dieses große Kempowski-Projekt hatte Axel Schneider den Barbara- Kisseler-Theaterpreis erhalten. Den Stoff in allen vier Teilen gelungen umzusetzen, ist schon mehr als bewundernswert.
Die Kostüme schuf Sabrina von Allwörden, für die Akkordeon-Einspielungen sorgte Natalie Böttcher und die Musikalische Leitung hatte Mathias Christian Kosel. Auf der Bühne überzeugten einmal mehr Detlef Heydorn, Anne Schieber, Marion Gretchen Schmitz, Hannes Träbert, Nadja Wünsche und andere.
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