Nach dem SPD-Eklat: die Suche nach einer Mehrheit

Harburg. Und nun? Nach dem Rausschmiss von fünf Abgeordneten der SPD-Fraktion haben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Bezirksversammlung komplett verändert. Plötzlich stellt die CDU mit ihren zwölf Abgeordneten die stärkste Fraktion und ihr Kreisvorsitzender André Trepoll hat daraus auch schon einen Führungsauftrag abgeleitet: „Wir werden jetzt unter Führung von Rainer Bliefernicht für stabile Mehrheiten sorgen.“
Zunächst wird allerdings der Ältestenrat der Bezirksversammlung über das künftige Präsidium der Bezirksversammlung entscheiden. Der aktuelle Erste Vorsitzende Holger Böhm (SPD) wurde gewählt, weil nach der Bezirkswahl im Juni 2024 die SPD mit 15 Abgeordneten die stärkste Fraktion hatte. Jetzt steht dieser Posten eigentlich der CDU zu.
Geklärt werden muss nach dem SPD-Beben auch die künftige Zusammensetzung der Fachausschüsse, in denen die eigentliche politische Arbeit gemacht wird. Die Besetzung der Ausschüsse wird mit dem für Laien komplizierten Hare/Niemeyer-Verfahren geregelt. Durch den Ausschluss der fünf SPD-„Abweichler“ ändern sich die Mehrheiten in den Ausschüssen nicht, wohl aber in der Bezirksversammlung, die in der Regel die Empfehlungen der Ausschüsse per Beschluss nachvollzieht. „Das könnte dazu führen, dass die Bezirksversammlung in Einzelfällen gegen die Empfehlungen der Ausschüsse votiert“, sagt SPD-Fraktionschef Frank Richter. Das erschwere die politische Arbeit erschweren und könne für Irritationen sorgen.
Richtig spannend wird es bei der jetzt anstehenden Auswahl eines Kandidaten oder einer Kandidatin für den Job als Bezirksamtschef. Das Bewerberfeld ist schon gesichtet, Namen werden noch nicht genannt. Wie besser-im-blick erfuhr, soll sich Klaus Thorwarth, Erster Richter am Hamburger Veraltungsgericht nicht beworben haben.
Der Marmstorfer hatte Schlagzeilen gemacht, als er sich im vergangenen September als Nachfolger für die nicht mehr kandidierende frühere Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen ins Gespräch gebracht hatte – ermutigt durch seinen Nachbarn und CDU-Fraktionschef Rainer Bliefernicht. Die Kandidatur hatte sich erledigt, als Thorwarth in einem Heimfelder Friseursalon freimütig über seine Ambitionen geplaudert hatte und dabei auch geäußert haben soll, er habe kein Problem damit, möglicherweise auch mit Stimmen der AfD als Bezirksamtsleiter gewählt zu werden. Nach diesem Eklat war Rainer Bliefernicht von seinen Mitstreitern aus dem CDU-Fraktionsvorstand für seinen „Alleingang“ gerüffelt worden.

Nun soll Bliefernicht also nach der Ansage von CDU-Kreischef Trepoll in führender Rolle eine sichere Mehrheit für einen neuen Chef im Bezirksamt „sondieren“.
Über allem schwebt eine zunächst abstrakte Drohung des Hamburger Senats, dem Bezirk diese Personalie zu entziehen und selbst eine Person seiner Wahl an die Spitze des Bezirksamts zu setzen. So steht es jedenfalls im gerade verabschiedeten Koalitionsvertrag von SPD und Grünen. Diese Regelung soll aber erst greifen, wenn sich der Bezirk neun Monate lang nicht auf eine Person einigen konnte. Vor allem aber kann sie erst greifen, wenn das Bezirksverwaltungsgesetz entsprechend geändert worden ist.
Noch hat die Harburger Politik Zeit, ihren Verwaltungschef selbst zu bestimmen. SPD-Fraktionschef geht davon aus, dass dies frühestens in der Juni-Sitzung der Bezirksversammlung geschehen könnte, realistischer erscheint ihm indes die erste Sitzung nach der Sommerpause Ende September.
Rätselhaft bleibt die Frage, wie bei den aktuellen Verhältnissen in der Bezirksversammlung eine sichere Mehrheit geschmiedet werden kann: Die CDU hat 12 Sitze, die SPD 10, die Grünen 8, die AfD 6, die Linke 4, Volt 3, die FDP 2, dazu kommen die fünf fraktionslosen Ex-SPD’ler sowie ein AfD-Mann, der sich der Fraktion seiner Partei nicht angeschlossen hat.
Nach dem Ausschluss aus ihrer Fraktion haben sich die fünf SPD-Abweichler noch einmal zu Wort gemeldet: „Wir weisen die gegen uns erhobenen Vorwürfe entschieden zurück. Unsere Abwesenheiten waren stets entschuldigt und begründet, unsere Gesprächsangebote sind dokumentiert, unsere Mitarbeit in Ausschüssen belegbar. Der Versuch, dies nachträglich als Arbeitsverweigerung oder bewusste Blockade darzustellen, ist nicht sachlich nachvollziehbar und wird dem tatsächlichen Verlauf der letzten Monate nicht gerecht.“ Ihre Mandate wollen sie nicht zurückgeben und sie wollen auch weiterhin „zur SPD stehen“.