"Hair" im Harburger Theater: Zum Finale stehender Applaus für das spielfreudige Ensemble
Harburg. Axel Schneider, seit fast zwei Jahrzehnten Intendant des Harburger Theaters, zurzeit auf Dienstreise auf hoher See, hätte sich gefreut. Zum Auftakt der Jubiläumsspielzeit 2022/23 erfreute das Ensemble des Altonaer Theaters das Harburger Publikum mit einer eigenwilligen, aber insgesamt gelungenen Inszenierung des weltberühmten Musical-Klassikers "Hair". Während sich die Harburger Zuschauer im ersten Teil vor der Pause noch ein wenig mit Applaus zurückgehalten haben, gab es im zweiten Durchgang und vor allem zum Finale Begeisterungsrufe und Standing ovations für das spielfreudige Ensemble.
Zu Beginn des Abends begrüßte der langjährige CDU-Politiker und ehemalige Senator und Zweite Hamburger Bürgermeister Dietrich Wersich, jetzt Geschäftsführer auch des Harburger Theaters, das Harburger Publikum auch im Namen des Intendanten Schneider und der Vorsitzenden des Freundeskreises des Harburger Theaters, Angela Scholz, im fast ausverkauften Theater.
Unter ihnen waren Harburgs Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen, Museumschef Prof. Dr. Rainer-Maria Weiss, der langjährige, inzwischen 90-jährige Harburger Notar Nesemann, die Eheleute Prof. Enno und Birgit Stöver, der langjährige Richter am Amtsgericht Harburg und am Landgericht Hamburg, Enno Kleffel, Harburgs Städteführer Hans-Ulrich Niels, der SPD-Bezirksabgeordnete Peter Bartels, Joachim Bode, Chef des Eisenbahnvereins Harburg, und die Chefin des Harburger Traditionsfischgeschäfts Mimi Kirchner, Andrea Detlefsen, und weitere bekannte Harburger Kukturfreunde.
Aktueller Bezug zum Kapitolsturm in den USA
Die Akteure auf der Bühne, ein sehr engagiertes Ensemble, waren die Stars des Abends, die Präsentation des Musical-Klassikers war ebenso gefühl- wie schwungvoll. Mehr als einige Podeste auf der sonst leeren Bühne hatten den Konzertsaal in einen Theaterraum verwandelt. Dann kamen sie, die Schauspieler als wütende Protestler. Sie eroberten die Bühne vom Zuschauersaal des Harburger Theaters aus - in Military-Kostümen und mit gehörntem Fell-Kopfschmuck. „Wir sind das Volk!“ und „Ich bin ein Patriot“ hörten die staunenden Harburger Besucher.
Viele Besucher staunten und überlegten: Wie passt das zusammen - "Hair" und der rechte Trump-Mob der Kapitolstürmer vom Januar des vergangenen Jahres, einem der Tiefpunkte der Demokratie in der jüngeren USA-Geschichte. Im Mittelpunkt dieser abgewandelten Inszenierung stand der von 1955 bis 1975 andauernde unsägliche Krieg in Vietnam. Er inspirierte die Autoren Gerome Ragni und James Rado und den Komponisten Galt MacDermot im Jahr 1968 zum Frieden-Liebe-Glück-Musical „Hair“. Und auch in Harburg wurde "Hair 2022" im Zeitalter des „Aquarius“ im gleichnamigen unvergesslichen Song beschworen.
In der von Franz-Joseph Dieken überaus frei inszenierten „Hair“-Version stehen junge und sehr engagierte Akteure auf der Bühne und mimen eine eingeschworene Gemeinschaft von Neo-Hippies, Punks und Aktivisten. Anfangs ist es zuweilen laut und sogar schrill auf der Bühne und das Harburger Publikum reagiert noch abwartend und offensichtlich ein wenig überrascht. Aber so präsentierten sich viele junge Protestler in den 1960er- und 1970er-Jahren in der zerspaltenen USA-Gesellschaft.
Bunt kostümierte jugendliche Darsteller auf der Bühne erinnern an damaligen Zustände in den USA: Moralische Überlegenheit der oberen Zehntausend gegenüber dem "Mob", prügelnde Polizisten, Präsidenten und unsympatische militärische Vorgesetzte. „Hass und Zerstörung sind die dunkle Seite der Macht.“ Die Rebellen antworten: „Liebe ist die Antwort.“ Das kommt ein bisschen schrill an bei den Harburger Theaterfreunden.
Aber "Hair" ist ja damals wie heute ein Happening voller Lebensbejahung und Aufbruchsstimmung – und natürlich auch Musik! Die Lieder unterstreichen ein Lebensgefühl – und regen außerdem zum Tanzen an. Sehnsucht und Rebellion, freie Liebe, Flower-Power und Auflehnung gegen jede Form von Krieg, das steht ja auch für Hair. Das Motto damals wie heute: „Let the sunshine in!“ Der Refrain „Let the Sunshine in“ scheint für die Ewigkeit geschaffen und lädt geradezu zum Mitklatschen ein.
So auch im Harburger Theater. Das Publikum, eher im Bereich von 45 bis 85 Jahre als von jugendlich bis zu den Mittvierzigern, macht mit, und zum Schluss bekommen alle noch eine musikalische Zugabe, ebenfalls durch viele Mitklatscher unterstützt. Die Präsentation war kurzweilig, gelegentlich sogar mitreißend. Es wäre schön, aber wohl unrealistisch, wenn die gegenwärtigen Probleme mit einigen lebensfrohen Songs zu heilen wären. Aber so etwas gibt es natürlich nur im Theater.
Die Aufführung dieser "Hair"-Inszenierung war ein glanzvoller Auftakt in die vielversprechende Jubiläumsspielzeit des Harburger Theaters. Harburgs ehemaliger Kommunalpolitiker und Stadtführer Hans-Ulrich Niels war jedenfalls sehr angetan: "Die Aufführung hat mir sehr gut gefallen. Ich habe Anfang der 1970er-Jahre eine ,Hair`-Aufführung im Theater im Besenbinderhof gesehen. Jetzt war der gelungene neue Auftakt mit den Figuren vom Sturm auf das Kapitol und später der Auftritt von Donald Trump ein Anlass, nachdenklich zu werden. Wohin hat sich die amerikanische Gesellschaft entwickelt? Ansonsten bleibt es für mich bei den immer gleichen Fragen: Wo stehe ich, was will ich ändern, um welchen Preis? Die Schauspieler wurden zu recht mit Standing ovations belohnt."