Fördert Grünkohl die Demokratie?
Harburg-Rönneburg. Seit 2010 lädt Rainer Bliefernicht, der zurzeit starke Mann der Harburger CDU, zu „Politik trifft Grünkohl“. Das Motto zieht offenbar auch 2025, der große Saal der Gaststätte Rönneburger Park ist gut gefüllt mit Menschen, die eher in den gediegenen Vierteln am Rand der Metropole das Stadtbild prägen, viel Beige und Grau, hier und da ein paar Gehhilfen, aber auch jugendliche Farbtupfer – immerhin aber hundert Bürgerinnen und Bürger mehr als die wenigen, die die monatlichen Sitzungen der Bezirksversammlung besuchen. Steile These: Fördert Grünkohl die Demokratie?
Lecker ist der Grünkohl auf jeden Fall, den Wirt Ali Abalo in seinem „kulinarischen Wunderland der mediterranen Küche“ (so zu lesen auf seiner Speisekarte) serviert und allein die Vorfreude auf Schweinebacke und Kohlwurst lassen die folgenden Reden kürzer erscheinen.
Bliefernicht, Fraktionschef der stärksten Fraktion in der Bezirksversammlung und stellvertretender CDU-Kreisvorsitzender, beginnt wie alle Jahre wieder mit einem Rundumschlag zur aktuellen Lage in Hamburg: „Der Zukunftsentscheid war für uns alle ein Schock und er wird die Stadt spalten, weil nicht alle mitgenommen worden sind – vor allem die Leistungsträger.“ Und er ist sich sicher: Dieser Entscheid wird Unternehmen wie Harburg-Freudenberger ins Ausland treiben, er wird Wohnungsbau verhindern und die Logistikfirmen massiv schwächen, wenn sie „mit Tempo 30 durch die Stadt schleichen müssen“. Wenn sich jetzt Hamburg mit „idiotischen Vorschriften ideologisch blockiert“, müsse der Bund eingreifen.
Noch gibt es keinen Plan, wie Hamburg schon 2040 klimaneutral werden kann, deshalb sind Bliefernichts Prognosen erstmal nur Spekulationen. Viel greifbarer sind die Mehrheitsverhältnisse in der Bezirksversammlung Harburg, sie sind – so Bliefernicht – „alles andere als einfach“. Dennoch sei die CDU die entscheidende Kraft, nachdem die einst stärkste Fraktion, nämlich die SPD sich selbst zerlegt und „der Fraktionschef fünf Mitglieder aus der Fraktion rausgeschmissen hat“.
Bliefernicht: „Wir jammern aber nicht und versuchen, mit wechselnden Mehrheiten unsere Anträge durchzubringen.“ Allerdings komme weder die CDU noch die SPD mit ihren Wunschpartnern Grüne und Linke auf die erforderliche Mehrheit von 26 Stimmen. Deshalb sei die AfD oft das „Zünglein an der Waage“: Bliefernicht: „Sollen wir deshalb einen guten Antrag zurückziehen, nur weil die AfD ihn unterstützt?“ Auch die AfD sei von den Bürgern gewählt worden, das müsse respektiert werden. In Ostdeutschland sei das ohnehin schon Alltag. Alles andere wäre „Ausdruck mangelnder Demokratie“.
Abschließend macht Bliefernicht nochmal deutlich, dass sich die CDU inhaltlich grundlegend von der AfD nicht nur unterscheidet, sondern auch distanziert – egal ob es die Treue zum Grundgesetz, das Bekenntnis zur EU oder die Verteidigung der Ukraine ist.
Es könnte noch düsterer kommen, denn jetzt kurz vor dem Grünkohl ist noch Brigadegeneral a.D. Dirk Backen angesagt. Sein Auftrag sei es, den Gästen der CDU „in 20 Minuten den Weg zum Weltfrieden zu schildern“. Der Mann hat Humor, das spürt der Saal und schon legen sich, jedenfalls für ein paar Minuten, diffuse Ängste vor Krieg und anderen Grausamkeiten. Und er appelliert an Solidarität und Empathie, als er sein Publikum auffordert, mal zu überlegen, ob in der „Nachbarschaft vielleicht auch ein paar Kriegsflüchtlinge wohnen“. Sein historischer Rückblick auf die unterschiedlichsten Waffengattungen, von der Haubitze zur Drohne klingt so kompetent, das manches nicht mehr ganz so bedrohlich klingt.
Und doch klingen seine Schlussbemerkungen nicht sehr optimistisch: „In jüngster Zeit hat sich die Lage dramatisch verändert: Wir müssen uns auf den Verlust der USA als unseren strategischen Partner einstellen. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass Russland seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt hat.“
