Kommentar. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ' ich einen Arbeitskreis. Oder suche mir einen Sündenbock. Ohne jede Frage: Wir müssen schauen, wie wir die Coronapandemie in den Griff bekommen und dafür müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden.
Was aber im Moment geschieht ist, dass ein bequemer Sündenbock gesucht wird, dem man nahezu alles an Infektionsgeschehen aufbrummen kann.
Natürlich: Die Meldungen und Bilder von wilden Partys in Kellern von Szenelokalen oder -locations sind medial gut verwertbar und erzeugen viele Clicks auf den Webseiten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Solche Partys zu feiern ist im Moment unter aller Sau und zeugt von Verantwortungslosigkeit und massiv unsozialem Verhalten und man sollte meinen, dass man darauf im Moment schlicht mal verzichten muss. Aber stehen solche Vorkommnisse stellvertretend für die ganze Branche?
Meine Meinung: nein. Die wirklich aller, aller allermeisten Gastronomen und Veranstalter halten sich an die Auflagen, erheben die Daten, sorgen für Hygiene und Abstand – und das in einem Spagat, ihren Gästen trotz dieser Auflagen einen schönen Aufenthalt bei ihnen zu ermöglichen. Genauso sieht es bei Kinos und Theatern aus, bei den kleinen Konzerten, mit denen die Clubbetreiber wieder versuchen, wenigstens etwas für Musiker, Fans und auch sich selbst zu tun.
Gestern hat das Robert-Koch-Institut (RKI) aktuelle Zahlen dazu veröffentlicht, wo in welchen Maße eigentlich Infektionsgeschehen stattfindet (ab Seite 12). Das RKI weist darauf hin, dass mit den Zahlen besonnen umgegangen werden muss, da nicht immer die Infektionsketten nachzuvollziehen sind. Aber einen Trend denke ich kann man doch ablesen. So finden die mit Abstand meisten Infektionen im Haushalt, in Alten- und Pflegeheimen und am Arbeitsplatz statt. Der Freizeitbereich ist ebenfalls mit recht hohen Zahlen dabei, aber hier gibt es zu beachten, sind neben Theater, Kino und Sport eben auch alle sonstigen Freizeitaktivitäten, mitunter mit vielen Menschen und ohne Mindestabstand, mit enthalten.
Die Gastronomie und Hotellerie sind im Bereich von 2 Prozent aller Ansteckungsorte. Und das rechtfertigt, eine ganze Branche mit den dort arbeitenden Menschen zum Buhmann zu machen? Heute wollen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten über weitere einschneidende Maßnahmen beraten. „Lockdown Light“ nennen Politiker die Variante eines erneuten Lockdowns, bei dem es die Gastronomie, Hotellerie- und Eventbranchen wieder heftig treffen soll. Unbestritten: Jeder nicht stattgefundene Kontakt eines Infizierten mit Nichtinfizierten ist gut. Aber die Maßnahmen müssen eben verhältnismäßig sein.
Noch einmal: Ich kenne kaum einen anderen Bereich des Lebens, in dem die Hygieneregeln mehr eingehalten werden und in dem die Vorsicht größer ist wie im Gastronomie-, Hotellerie- und Eventbereich. In Restaurants, Kneipen, Hotels, beispielsweise bei der Fight For Live-Reihe in Harburg, den kleinen Konzerten wie in der Fischhalle. Wenn, wenn man wirklich findet, dass man diese ganzen Unternehmen wieder schließen muss, dann muss es staatliche Hilfe geben. Und zwar für alle und keiner darf dieses Mal vergessen werden. Für die Gastronomen, die Hoteliers, die Veranstalter, die Künstler, Musiker und: jeden und jede, die in diesen Bereichen arbeiten.
Und das bedeutet eben auch, dass ein freischaffender Künstler oder Musiker finanzielle Hilfe zum (Über-)Leben bekommt und nicht Nichts mit dem Hinweis, dass die Coronahilfe nur für Betriebsausgaben da sei. Und dass Servicekräfte in der Gastronomie auch einen Ausfall für Trinkgeld bekommen, das sie zum (Über-)Leben brauchen.
Und dies zum Schluss: In der Zeit des Lockdowns habe ich von niemandem aus diesem Bereich gehört, dass die Maßnahmen alle falsch sind, es Corona gar nicht gebe oder es nicht so schlimm sei. Alle haben hier gesagt: Die Situation ist richtig schlimm für uns und wir wissen nicht, ob wir am Ende noch da sind. Aber für alle müssen wir da durch. Eine solche Solidarität mit den Menschen hätte ich mir auch in anderen Bereichen gewünscht. Man sollte diese Solidarität aber nicht unnötig auf die Probe stellen und überstrapazieren, nur weil man bequem einen Sündenbock konstruieren möchte.